Eigentlich finde ich Talkshows oft nicht spannend, aber am Freitagabend hatte eine dieser Shows schlagartig meine ganze Aufmerksamkeit, denn es ging um das Thema “Jung um jeden Preis” im SWR. Ein Thema, mit dem meine Kollegen und ich uns im letzten Jahr ausgiebig beschäftigt haben.
(Bildquelle: “Jung um jeden Preis”, Freitag, 9.3.2012, SWR)
Seit Jahren führen wir bei GREY in regelmäßigen Abständen Studien durch. So haben wir uns im letzten Jahr in ausführlichen Inhome Interviews mit der Zielgruppe 50plus auseinandergesetzt und sind Menschen begegnet, die sich extrem stark von den Erwartungen an ihre Altersgruppe befreit haben. Wir haben es die “Lust am Loslassen” genannt.
Sie befreien sich von den Stereotypen, die seit der Entdeckung der Marketingzielgruppe “50plus” Anfang der 90er Jahre etabliert wurden. Das gilt sowohl für die negativen Klischees der früheren Jahre als auch für die aufkommende positive Idealisierung der letzten Jahre. Sie fühlen sich weder wohl mit dem Bild der passiven Alten noch mit dem Bild der hyperaktiven Best-Ager. “Ich fühle mich schon wie 53. Weil so wie ich mich fühle, kann man sich mit 53 fühlen.” (Frau, 53)
Vielmehr streben sie nach einer neuen Balance in ihrer Lebensrealität. Heute zählt nicht mehr die Frage “Entweder Pflicht oder Vergnügen”, sondern die Frage “Hat es Relevanz für mich?”. Damit werden sie automatisch auch wählerischer in allen Facetten ihres Lebens.
Während früher viele Freunde wichtig waren, sind es heute die passenden Freunde. Im Gegensatz zur “Digital Native Generation” gehen sie eher selektiv mit ihren Kontakten um und verzichten auch gerne auf Menschen, die nicht mehr zu ihnen passen. Da sind sie sehr konsequent und können loslassen. “Freunde, die sehr anstrengend sind und Probleme machen, das möchte ich nicht mehr, das blocke ich ab und verzichte lieber auf die Freundschaft.” (Frau, 63)
Genauso entspannt gehen sie mit ihren körperlichen Realitäten um. Einschränkungen werden nicht mehr als Bürde empfunden, sondern lassen sie ihren Horizont erweitern, indem sie sich neue Betätigungsfelder suchen. Auch hier ermöglicht ihnen das “Loslassen”, sich neue Freiräume zu schaffen. Sie müssen sich nicht mehr zwanghaft wie 20 Jahre jünger fühlen. In Folge dessen haben sie sich vom Altersdenken befreit und fühlen sich in ihrem biologischen Alter wohl. Ausschlaggebend wird für sie vielmehr die Frage der Einstellung zum Leben.
Genau diese Realitäten habe ich in der Talkshow, natürlich nicht von allen, aber von einigen der Talkgäste gehört. Eveline Hall, eine ehemalige Ballerina und Schauspielerin, die sich mit ihren 66 Jahren gerade zum gefragten Model etabliert – trotz oder gerade wegen der einen oder anderen Falte. Denn diese Falten haben für sie eine Daseinsberechtigung “…wenn man das irgendwann sieht, dass eine Falte da ist, dann hat sie schon ihre Berechtigung …” weiter sagte sie “Ich will nicht jünger aussehen, als ich bin. Man kann sich sexy machen, elegant, attraktiv, aber nicht jung”. Auch der ehemalige ARD-Moderator Sven Kuntze findet: “Wer krampfhaft an der der Jugend festhält, gewinnt gewiss nicht an Lebensqualität.” Zwar kann er nicht leugnen, dass mit dem Alter die Mängelliste immer länger wird, doch dies zu bejammern, mache einen nur unglücklich. So plädiert er für mehr Gelassenheit im Umgang mit dem Alter und einen Genuss, der nur mit dem Alter erreichbar ist: Die Vollkommenheit der Lebensweisheit. (Quelle: SWR ).
Eine neue Realität, die wir in dieser Deutlichkeit in den letzten Jahren nicht gehört haben, die sich aber in ersten Ansätzen auch in anderen Quellen zeigt, z.B., dass Mode alterslos wird.
Mehr zur “Lust am Loslassen” im Rahmen von unserer globalen Studie in Kürze hier auf dem GREY Blog.
Bettina