Sie nennen sich auf Twitter @CraftnVision. Das lässt sich in etwa mit „Handwerk und Vision“ übersetzen. Dass sie beides beherrschen, haben sie in der Vergangenheit unter Beweis gestellt.
Der eine als das Media-Urgestein in Deutschland und zugleich Jung-Blogger, der andere als kritisch-visionärer Geist, der für den Werbeblogger schon die eine oder andere Diskussion angefacht und ausgefochten hat.
Jetzt haben sich beide vor einiger Zeit zusammengetan, um die deutsche Agenturlandschaft umzukrempeln. Ihr selbstgestecktes Ziel lässt keinerlei Zweifel: R/Evolutionsberatung für Agenturen. Wobei das natürlich ein lustiges Wortspiel ist, liest man doch entweder Revolution oder Evolution. Ich habe mich mal an Thomas Koch und Ralf Schwartz gewandt und mit den beiden das Gespräch gesucht …
Johannes: Hallo Ihr beiden. Schön, dass es endlich mit uns dreien klappt. Es gab viel zu tun, deswegen erst jetzt und in Ruhe, aber wie angekündigt mit “gepfefferten Fragen”. Beginnen wir entspannt: Geht es Euch gut?
Thomas: Nicht wirklich. Mich quält eine innere Unruhe. Werbung und Media werden in Deutschland immer uniformer. Die Werbeleute stehen in der Liste der vertrauenswürdigen Berufe gleichauf mit Versicherungsvertretern und Politikern. Das kann unmöglich so weitergehen. Sonst geht es mir eigentlich ganz gut…
Ralf: “Denk ich an deutsche Kreativität (in all ihren Dimensionen) in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht”. Sonst geht es mir eigentlich ganz gut…
Johannes: Seit wann gibt es Craft & Vision und als was versteht Ihr Euch? Als Agentur? Als Unternehmensberatung? Und was unterscheidet Euch von Euren Wettbewerbern?
Thomas: Wir verstehen unser Angebot – seit etwa einem halben Jahr – als Agenturberatung. Und Wettbewerb haben wir nicht. Wer sonst berät Agenturen bei ihrer Positionierung?
Ralf: Unterschied zum Wettbewerb? Wir machen keine Akquise.
Johannes: Was ist Euer Ziel mit Craft & Vision? Vor allem: Wie seid Ihr auf die Idee gekommen, Euch zusammen zu tun?
Thomas: Weil es Nachfrage gibt. Wir wollen Agenturen helfen, sich im wandelnden Markt besser zurechtzufinden, ihre Position im neuen Markt zu finden, ihre Talente besser darzustellen und sich Gehör zu verschaffen bei den Kunden, für die sie die beste Agentur der Welt wären. Wenn der Kunde nur von dieser Agentur bloß (mehr) wüsste…
Ralf: Einerseits denken wir ähnlich, andererseits sind wir sehr unterschiedlich. Zusammen sind wir mehr als die Summe unserer Teile. Blah.
Johannes: Auf Eurem Blog ist nicht nur die Schrift recht groß, sondern auch Euer Selbstbewusstsein. Da steht etwa gleich zu Beginn: “Wir helfen Agenturen, zu ihren Stärken zu finden, sich auf diese zu konzentrieren und neue Talente zu entwickeln.” Können Agenturen nur Dank Eurer Hilfe stark werden?
Thomas: Es gibt nur sehr wenige Agenturen, die eine klare Positionierung im Markt haben. Dass dazu ausgerechnet GREY zählt, finde ich jetzt nicht peinlich. Aber es gibt ja noch 11.999 weitere Agenturen, die nicht das Glück hatten, von Bernd M. Michael positioniert zu werden. Nur wenige können das selbst. Da ist Rat von außen Gold wert.
Ralf: Ich finde, das “Helfen” ist äußerst bescheiden. Und mehr tun wir auch nicht. Meist fördern wir nur zutage, was längst in der DNA der Agentur angelegt ist, aber durch Konzentrationsschwäche und Hyperaktivität (ruhig im wortwörtlichen und übertragenen Sinne zu verstehen) aus dem Fokus geriet. Die Agentur, die frisch startet, hat noch ihre eindeutige – und im Zweifel einmalige – Positionierung. Nach einigen Jahren aber wird diese qua Tagesgeschäft, immer unterschiedlicherer Kunden und Mitarbeiter immer unklarer, unspezifischer und austauschbarer. Der Markt hat die Agentur längst eingeholt, diese es aber noch nicht bemerkt.Jetzt muss man nicht nur eine aktualisierte – oder neue – Positionierung finden, man muss im Zweifel die ganze Agentur restrukturieren.
Johannes: Ihr schreibt auf Eurem Blog zudem: “Die neue Agentur lässt sich nicht mehr primär an ihren Worten messen, sondern an ihren Taten.” Warum muss es denn eigentlich neue Agenturen geben? Es gibt doch schon sehr viele, kleine, große, inhabergeführte oder Networks usw.?
Thomas: Es gibt die „alte“ Agentur, die sich erneuern muss, will sie nicht unter die (digitalen) Räder geraten, wie es bereits einigen ergangen ist. Und es wird immer neue Agenturen geben, die andere verdrängen. Wer nicht verdrängt werden will, muss sich neu aufstellen.
Ralf: “Neu” bedeutet in diesem Moment “die Agentur der Zukunft”. Eine auf die neue Unabhängigkeit, Individualität und Ungeduld der Menschen ausgerichtete Agentur, die verstanden hat, dass die Zeiten traditioneller Monologe in Kommunikation und Marketing vorbei sind. Darauf baut im Moment immer noch das Allermeiste auf. Der Worte aber sind genug gewechselt. Die Menschen wollen Taten sehen, Service, Nutzen und Werte.
Johannes: Mal im Ernst: Steht es um die Agenturen in Deutschland so schlecht, dass Ihr sie revolutionieren müsst? Oder anders formuliert: Warum braucht es eine Evolution für den Agentursektor in Deutschland?
Thomas: Es fehlt an Neuem, R/Evolutionärem an allen Ecken und Enden. Anzeigen: Gähnende Langeweile. TV: Austauschbar wie noch nie. Online: Die reinste Versuchsküche… Daran erkennt man, dass längst wieder eine Revolution fällig ist. Wie damals zu Zeiten von Wilp, GGK und Benetton. Seither ist leider nicht viel passiert…
Ralf: Die Kinowerbung ging als letzte zugrunde. Früher konnte man wenigstens dort noch spannende Geschichten erleben. Heute ist auch das vorbei. Niemand traut sich mehr was. Produkte, Kommunikation und Marken sind austauschbar, langweilig, locken keinen mehr hinter dem Ofen hervor. Deutschland zahlt gerade die Zeche dafür.
Johannes: Wenn man Euch so liest (Blogposts oder Tweets), könnte man den Eindruck gewinnen, mit dem “Land der Ideen” ginge es kontinuierlich bergab? Zwei Beispiele: Ein Tweet von Thomas, in welchem es heißt: “Die deutsche Kreativwirtschaft steckt in einer tiefen Depression. Die Kreativagenturen sollten Psychiater anheuern…” Oder aber Du Ralf mit Deiner “Montagspredigt: Social Media und deutsche Markenarbeit – Zwei Welten prallen aufeinander.” Trügt mich dies oder liege ich richtig?
Thomas: Ja, die Agenturen stecken in einer tiefen Depression. In einer regelrechten Sinn-Krise. Die Mitarbeiter leiden unter Burn-Out. Beratungsarbeit ist natürlich immer auch „Couch“-Arbeit. Das war schon immer so…
Ralf: Dies ist richtig, Johannes. Weil sich niemand mehr traut, kein Rückgrat mehr hat – weder in Agentur, noch in Marketing. Die allermeisten wollen schnell ihre 3-Monatsziele erreichen und greifen dafür auf allereinfachste Reflexe des Konsumenten zurück. Aber nur “NEU” dranzuschreiben oder “20% auf alles” reicht schon lange nicht mehr.Wie aber soll man den Leuten das klarmachen, wenn ihr Bonus davon abhängt? Sie denken kurzfristig und schaufeln so das Grab der Marke. Nach ihnen die Sintflut.
Johannes: Ihr wollt den “richtig guten Leute” in den Agenturen den “berühmten Anstoß” verpassen, damit sie sich wieder in Frage stellen. Ist das nicht ein wenig anmaßend von Euch? Ihr unterstellt letztlich ja damit, dass in den Agenturen heutzutage Reflektion ein Fremdwort ist…
Thomas: Du kennst den Spruch mit dem Wald, den man vor lauter Bäumen nicht mehr sieht. Jeder Reflektion tut ein Anstoß von außen gut.
Ralf: Die Betonung liegt eher auf der Tatsache, dass wir davon überzeugt sind, dass es da draußen sehr viele richtig gute Leute gibt! Sie kommen nur nicht zum Zuge, nicht zum Kunden, und nicht an die Spitze der Agentur. Das beste Beispiel waren doch die vielen sehr guten Digital-Agenturen, die gekauft, den Networks einverleibt und deren Chefs in die 2. Linie gedrängt wurden. Eben jene Unternehmerpersönlichkeiten, die vorher in der Digitalagentur soviel Wert schöpften, dass sich die Networks die Finger danach leckten. Eben jene Networks, die selbst keine Ahnung, keine Talente, und keine Traute hatten, solch einen Erfolg selbst zu kreieren. Sitzt dann der obsolete Klassik-CEO über dem Digitalen muss das doch in die Hose gehen. Eine klassische (im doppelten Sinne) Fehleinschätzung. Nicht Manager, sondern endlich wieder Unternehmer werden in den Agenturen gebraucht – auf allen Ebenen.
Johannes: Stellt Euch vor: Ich bin Chef einer großen Agentur. Ihr lernt mich kennen und wollt mich davon überzeugen, dass es für unsere Mannschaft das Beste ist, von Euch trainiert zu werden. Wie macht Ihr das ob meiner Skepsis, denn meine Mannschaft ist die Beste, auf die ich nichts kommen lasse?
Thomas: Jede Mannschaft ist “die Beste”, wenn man sie nach ihren Fähigkeiten, Ideen und Talenten einsetzt. Oft erkennt man das von außen besser als von innen. Ist so. Und wir helfen dabei.
Ralf: Ich formulier es mal extremer: Wenn der Agenturchef nicht selbst bereits gemerkt hat, dass er etwas ändern muss, können wir ihm nicht helfen. Wir würden nur sein Geld und unsere Zeit verschwenden. Denn all seine Mitarbeiter wüssten, dass er es nicht ernst meint. Nein, er muss von selbst drauf kommen. Gerne auch in einem ersten Gespräch mit uns – nur: Akquise machen wir – wie bereits gesagt – nicht. Es macht einfach keinen Sinn.
Johannes: So, das waren jetzt die via Twitter vor einiger Zeit angekündigten “gepfefferten Fragen”…
Thomas: Da fehlt aber noch eine: “Wieso glaubt ihr, dass ausgerechnet ihr das wirklich könnt?” Darauf hat Ralf bestimmt eine passende Antwort.
Ralf: Einfach: Weil wir es nicht wegen des Geldes tun … das macht den Unterschied!
Johannes: Ich danke Euch für das Interview. Solltet Ihr gerade mal um die Ecke vom Platz der Ideen sein, dann sagt Bescheid, denn auf Euch wartet ein frischer und wohlschmeckender Espresso!
Thomas: Ich kann in 15 Minuten da sein.
Ralf: schweigt
[...] Johannes Lenz: Das gebe ich gerne weiter Und die eine oder andere Anzeige beweist ja auch eine gute Portion Ironie. Das bringt mich zu einem anderen Thema: In einem Interview äußerten Thomas Koch und Ralf Schwartz neulich hier auf dem GREY Blog: „Denk ich an deutsche Kreativität (in all ihren Dimensionen) in der Nacht, bin ich um den Schlaf geb…“ [...]