Nach unserer Arbeit für den Deutschen Parfümpreis “Duftstars” habe ich die Möglichkeit gesucht mit einem Experten aus dem Bereich Marketing in der Parfumindustrie zu sprechen. Während meiner Recherche bin ich auf Herrn Dr. Kubartz gestoßen. Nach der federführenden Mitarbeit an der Düsseldorfer Parfummesse “Global Art of Perfumes” und im Zuge der Tätigkeiten für Schnitzler Consulting haben Frank J. Schnitzler und Dr. Bodo Kubartz “Das grosse Buch vom Parfum” (Collection Rolf Heyne, 2011) geschrieben.
Yu-Ting: Hallo Herr Dr. Kubartz, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für uns genommen haben. Können Sie sich und ihre Arbeit unseren Lesern vorstellen?
Dr. Kubartz: Mein Arbeitsschwerpunkt ist die Parfum- und Kosmetikindustrie – und dabei interessiere ich mich, über die reinen Produkt- und Markenentwicklungen hinaus, besonders für die wirtschaftlichen, soziologischen und markenspezifischen Trends und Entwicklungen im internationalen Bereich.
Yu-Ting: Wie beschreiben Sie die deutsche Parfumindustrie?
Dr. Kubartz: Wohl am einfachsten ist es, den Markt in die Bereiche Herstellung, Handel und Konsumenten zu unterteilen. Dann kann es heißen: die Endverbraucher suchen stets nach Neuem und die Geschmäcker sind deutlich auseinander gegangen, sodass immer mehr Neuheiten produziert und in den Handel gebracht werden. Dies hat zu schnellem Wandel und großer Vielfalt geführt. Auch könnte man sagen: einige große Händler sind viel stärker als andere gewachsen und ermöglichen, welche Marken wann, wie und wo hervorgehoben und betont werden. Diese Händler prägen gegenüber den Endverbrauchern also das Verständnis von dem, was Parfum, Kosmetik und Beauty bedeuten. Oft drückt sich damit die Wahrnehmung einer gewissen Uniformität aus – und für einen großen Teil der Verbraucher ist das auch in Ordnung und „normal.“ Doch hat sich jenseits des Mainstream eine außerordentliche Markenvielfalt in der olfaktorischen Nische aufgetan mit kleinen, oft kunstbezogen arbeitenden Handwerkern und Nasen, die als Gesamtheit an Bedeutung gewinnen. Diese Entwicklung zu verfolgen macht mir besonders Spaß.
Yu-Ting: Duftkreationen spiegeln die Zeit wieder. Welcher Duft beschreibt die heutige Zeit in Ihren Augen am Besten?
Dr. Kubartz: Vielleicht ist der Sachverhalt, dass jährlich immer mehr Parfums den Markt erreichen, Indiz dafür, dass die individualisierte Gesellschaft heute keinen einzigen oder nur eine geringe Anzahl Düfte verehrt. Die Kakophonie der Düfte drückt die gestiegene Individualisierung aus. Dabei existieren aber zwei widersprüchliche Trends: Erstens, selbstverständlich kann man nach wie vor Top-10-Listen der verkauften Düfte für Sie und Ihn studieren und erkennen, dass von den Unmengen an Neulancierungen nur ganz wenige sehr erfolgreich sind und auf dem Markt bleiben. Denn unter den Top-Sellern befinden sich auch sehr alte wie die Ikone „Chanel No. 5“ mit viel Standvermögen. Zweitens bleiben Endverbraucher, vor allem Männer, ihren ausgewählten Düften sehr lange treu und kaufen eher nach als neue Experimente zu wagen. Die Kaufbereitschaft der Frauen für ihre Männer aber auch die heranwachsende Schicht mutiger Männer, die sich gerne in Parfümerien begeben und dort auch dezidiert beraten lassen, nimmt stark zu.
Duftspezifisch haben wir auch im Parfumbuch beschrieben, dass – im Gegensatz zu den 90ern, die clean und transparent waren – wieder mehr Mut zu komplexeren, duftspezifisch verspielteren Düften zu verzeichnen ist.
Yu-Ting: Was sind die wichtigen Punkte der Markenkommunikation in der Duftbranche? Das richtige Testimonial? Ein gutes Flakondesign?
Dr. Kubartz: Eine abgerundete Kommunikation, die alle Sinne anspricht und die Marke und ihre Philosophie nach außen kohärent vermittelt, ist das A und O. Kohärenz ist ein stets betonter Maßstab – über mehrere Sinne hinweg soll eine Einheit und Einigkeit in der Außendarstellung gewährleistet bleiben. Darin liegt einerseits die Herausforderung, über Unternehmensgrenzen hinweg und zwischen Dienstleistern optimale Produkte zu generieren. Und andererseits ist dies natürlich in einigen Bereichen einfacher als in anderen. Gerade der Duftbereich scheint herausfordernd. Doch selbst beim Parfum gibt es wiederkehrende Akkorde, Motive und, sozusagen, Wiedererkennungsmerkmale; Experten riechen die Handschrift einer Marke heraus, hinter der zumeist sehr professionelle, gute Parfumeure stecken. Damit meine ich nicht das bloße Kopieren von Düften, um die Verbraucher nicht vor zu große Veränderungshürden zu stellen, sondern das gelungene Spagat zwischen zu wenig und zu viel Unterschiedlichkeit. Und mitunter riechen auch Endverbraucher diese Gemeinsamkeiten zwischen Düften einer Marke, die sie fasziniert, die sie aber nicht in Worten klar erklären können.
Yu-Ting: Im Ihren Buch “Das große Buch vom Parfüm” verzichten sie auf die Abbildung von Flakons. Ist das Flakondesign nicht oft ein entscheidender Kauffaktor?
Dr. Kubartz: Es kommt natürlich sehr darauf an, wen Sie fragen: ein Flakon- und Verpackungsdesigner wird immer auf die Relevanz des Flakons und der Verpackung für den Erfolg pochen. Fragen Sie einen Händler, dessen Personal mit Esprit über Düfte, Duftfamilien und die Unterschiedlichkeit der Olfaktorik spricht, wird die Bedeutung des Flakons weniger relevant erscheinen. Natürlich kann man letztlich über Marktforschung etwaig ermitteln, welcher Flakon für eine bestimmte Marke besser oder schlechter ankommt. Allerdings trifft erst im Laden, also in der wahrgenommenen Realität, die Vorabkalkulation auf Kundenannahme oder -zurückweisung. Für mein Dafürhalten subsummiert ein passender Flakon die Geschichte des Produktes, der Marke und Gesamtstory.
PS: Sehr wohl hat sich die Illustratorin des Buches auch den Flakons gewidmet und diese von der Realform abstrahiert. Mit Fotographie und Copyrights hätten wir das Buch nicht zu diesen Konditionen anbieten können.
Yu-Ting: Was für Möglichkeiten/Trends sehen Sie im Online Bereich?
Dr. Kubartz: Natürlich steckt noch viel Potenzial, online Kosmetik zu verkaufen. Dies hat jüngst eine Studie des Beratungsunternehmens A.T.Kearney verdeutlicht. Drei Stichworte für den Onlinebereich lauten Multi-Channel-Shopping, Shopinvestment und Nachkauf. Gerade für kleine Parfümerien, die dem Käuferverhalten des „hier beraten werden, anderswo online möglichst günstig kaufen“ durch einen Onlineshop begegnen wollen, ist dies eine enorme finanzielle Belastung, die vorab durchzukalkulieren ist. In der Hinsicht sind innovative, über die Grenzen gedachte Lösungen notwendig. Denn beim Nachkauf eines Produktes kann ein solcher Shop durchaus sinnvoll sein.
Potenzial steckt im Bereich der Ko-Kreation: Endverbraucher entscheiden mit, wie ihr individuelles Parfum aussieht. Dies bedient nicht das Gros der Endverbraucher sondern eine Kundenschicht, die an interaktivem und individuellem Design interessiert ist. Im Prestigebereich liegt Entwicklungspotenzial in der innovativen Markendarstellung. Eine Frage in dieser Hinsicht lautet: Wie kann das Universum einer Marke online so nachgebaut und nachempfunden werden, dass sie Produkte vor ihrem haptischen, visuellen und olfaktorischen Erlebnis im Shop adäquat repräsentieren? Hier liegt viel Gestaltungsspielraum was die Kommunikation anbelangt.
Begrenzt erscheinen die Möglichkeiten, durch Onlinedarstellung direkte Erstkäufe zu generieren – es sei denn, es handelt sich um Liebhaber, die aufgrund von Onlinebesprechungen in relevanten Foren einen Duft quasi blind kaufen.
Yu-Ting: Können Sie uns Best-Practices aus diesem Bereich nennen?
Dr. Kubartz: Bei den wichtigen best practices hat neben der Konzeptionierung (was für ein Konsument soll durch ein in welcher Form gestaltetes Parfum erreicht werden?) und dem Briefing diverser Zulieferer die Marktforschung eine besondere Rolle inne. Die großen Unternehmen verfolgen das Ziel, erfolgssichere Produkte zu lancieren. Nicht nur das Gesamtprodukt wird getestet, sondern alle Einzelteile (physisch wie nicht-physisch) parallel zu einander. Marktforschungsstrategien, Panels und weitere Tests existieren. Die Herangehensweise ist verständlich, denn die oft international vertriebenen Produkte sollen auf mehreren Märkten performen. Dabei kann es eine Herausforderung sein, die Marktforschung noch besser zu machen – denn trotz dieser Forschung ist kein Produkterfolg per se garantiert.
Natürlich kann man zudem die Frage stellen, wie viel Inhaltstiefe ein dementsprechendes Produkt haben kann und muss. Abseits der Marktforschung bietet jedenfalls die kreative Nische mehr Freiheit, das zu machen, was die Markenmacher dahinter wollen. Sicher ist diese Freiheit nicht unendlich, doch ist der Handlungsspielraum weniger strukturiert als bei Großprojekten.
Yu-Ting: Vielen Dank Herr Dr. Kubartz, dass Sie sich Zeit für unser Interview genommen haben.
Dr. Kubartz: Es hat mich sehr gefreut – vielen Dank, Herr Liu.