Vier Tage danach: Was bleibt von Heveling?

by Johannes on 3. Februar 2012

Am Montag dieser Woche erschien im Handelsblatt ein Gastkommentar von Ansgar Heveling, MdB und Mitglied der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft des Bundestages. Seine Aussagen sorgten für viel Wirbel, vor allem im Social Web. Es stellt sich einmal mehr die Frage: Wie ist es um die digitale Kompetenz in Deutschland bestellt?

(Bildquelle des Screenshots der gehackten Webseite von Ansgar Heveling: Link via Google+ erhalten )

Ende der Woche und um eine Vielzahl von Beiträgen in jedweder Form (Tweets, Blogposts, Videos, Pressestimmen) reicher stellt sich uns die Frage, was die Diskussion eigentlich für die Debatte um die digitale Kompetenz in Deutschland bringt. Ist es tatsächlich so, wie es Matthias Schrader im Oktober letzten Jahres formulierte, dass “viele Politiker digitale Analphabeten” sind? Bringen Debatten um digitale Kompetenz, um die Auslotung von Wegen zur Verringerung des gesellschaftlichen Grabens in Bezug auf  die Digitalisierung – zwischen Privatpersonen, Unternehmen und Politik – hierzulande nichts, weil die Fronten so festgefahren sind?

Nachgehakt bei Christoph Kappes und Nico Lumma

1. Bestätigt die Causa Heveling Matthias Schrader in seinen Aussagen vom Oktober 2011?

Christoph: Heveling ist ein Einzelfall, der allenfalls stellvertretend fuer eine nur noch selten anzutreffende Sorte des aggressiven Hinterbänklers steht.

Nico: Der Kommentar von Heveling macht deutlich, daß das Zitat von William Gibson “The future is already here — it’s just not very evenly distributed” mehr denn je stimmt. Sicherlich hat Matthias Schrader auch Recht mit seiner Feststellung, dass Politiker oftmals digitale Analphabeten sind.

2. Wie erklärt Ihr Euch die konfrontativen Aussagen von Heveling, wenn dieser doch Mitglied der Enquete Kommision Internet und digitale Gesellschaft des Bundestages ist? Kalkuliertes Bargaining zwischen Handelsblatt und Helving?

Christoph: Dito, wobei erschwerend hinzu kommt, dass die Auswahl von Enquete-Mitgliedern nicht immer nur nach Fachkompetenz erfolgt.

Nico: Da trifft Link-Bait auf das gekonnte Setzen einer Duftmarke unter den konservativen Strömungen der Gesellschaft, denen die liberalen Grundzüge des Netzes irgendwie immer suspekt sind.

3. Welche Möglichkeiten bieten sich uns 2012, die digitale Kompetenz in Deutschland zu stärken und den gesellschaftlichen Digital Divide (Politik – Unternehmen – Einzelpersonen) zu verringern? Sind D64 oder die Digitale Gesellschafft dafür dienlich, in welchen Ihr teilweise Mitglied seid?

Christoph: Ich sehe weder bei D64 noch bei DigiGes wirkliche Fortschritte, weil beide den Grossteil ihrer Energie in die Abwehr von Grundrechtseingriffen stecken müssen. So bleibt es nur beim Status Quo. Für konstruktive Ansätze fehlt in Deutschland die große Linie. Ich hätte z.B. keine Hemmungen, 1 Mrd. des Bundeshaushaltes für langfristige strategische Infrastruktur zu fordern, z.B. Open-Source Frameworks, Open Knowledge, NAS-ownclouds, Freifunk, Mashup-LANs. Wenn wir in fünf Jahren alle Bauteile für dezentrale Netzinfrastruktur hätten, die von Bürgern betrieben werden kann, wäre viel gewonnen.

Nico: Ja klar ist D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt dafür dienlich, sonst hätten wir den Verein ja nicht gegründet. Die Diskussion um die Zukunft unseres Landes und die Nutzung der Möglichkeiten, die die Digitalisierung bietet, muß breiter diskutiert werden, als es derzeit getan wird. Wir müssen uns dringend diesen Herausforderungen stellen, ansonsten wird es schwer werden für Deutschland, auch in Zukunft noch den Wohlstand zu sichern, den wir derzeit in der Breite der Bevölkerung genießen.

Zu den Personen:

Christoph Kappes ist Geschäftsführer der Fructus GmbH und ausgewiesener Kenner der digitalen Landschaft in Deutschland, sowohl politisch als auch unternehmerisch. Nico Lumma was bis Ende letzten Jahres Director Social Media bei Scholz + Friends und ist seit Januar COO bei Digital Pioneers N.V., die Innovationen und Start-Ups finanziell sowie beratend fördern. Beide sind überdies leidenschftliche Blogger, Twitterer, Plusser usw.

Ausgewählte Stimmen zu Heveling

“… Der Sprung von der Gesellschaft, die zur Zeit noch den grossen Teil ihrer Beschaeftigten in der Service-Industrie angestellt hat, zur IT-Gesellschaft kann mit diesen Volksvertretern nicht vollzogen werden und dies wird sich frueher oder spaeter fuer ein Land raechen, welches als einzigen Rohstoff die Leistung anbieten kann, welche zwischen den Ohren seiner Bewohner produziert wird! …”

Sascha Pallenberg, bekannter Techblogger, der in Taipeh lebt, in “Kommentar: Warum es so einfach ist den Heveling zu machen – Anmerkungen zu SOPA, Privatssphaere und Co.

“… Wer glaubt, bei der Beantwortung der Frage, wie wir die digitale Spaltung in der Gesellschaft überwinden statt vergrößern können, von Schlacht und Verderben sprechen zu müssen, der sollte sich eventuell überlegen, ob er als Politiker den richtigen Beruf gewählt hat. Politik ist dazu da, den Menschen zu helfen – nicht sie zu verunsichern. Ganz sicher aber sind in der „Enquetekommission Internet und digitale Gesellschaft“ Mutmacher gefragt – keine Angstmacher. …”

Dorothee Bär (CSU), stellvertr. Generalsekretärin und Vorsitzende des CSU-Netzrats und des CSUnet, in Handelsblatt: Gastkommentar: Apokalyptiker aller Länder vereinigt Euch! #nicht

“… Und Ansgar Heveling musste keine große Leuchte sein, um den Shitstorm vorherzusehen, den sein Handelsblatt-Kommentar (“Netzgemeinde, ihr werdet den Kampf verlieren!”) auslösen würde. Jetzt hat er Gelegenheit, auf seiner seltsam konstruierten Provo-Position zu beharren und sich als Rebell gegen das “böse Internet” aufzuspielen. Mission accomplished – aus Heveling-Sicht. Und das Handelsblatt hat nebenher einen Riesenhaufen Klicks eingesammelt. …”

Stefan Winterbauer, Korrespondent bei meedia.de, in Guttenberg-Torte, Schneider-Bashing, Heveling-Shitstorm Die Hetzgemeinde hat Schnappatmung

“… Wenn Meme und Shitstorm zum Selbstzweck werden, sind sie jedoch nichts weiter als selbstreferentielles Gehabe in der Gedankenblase einer pseudo-elitären Truppe. So werden Gräben nur noch tiefer gemacht, anstatt sie durch Vermitteln und Erklären endlich ein Stück weit zuzuschütten. … Die Politik muss lernen das Netz zu verstehen – aber gleiches gilt auch umgekehrt. Denn wir – die “coolen Netzpeople” werden dieses politische System mit all seinen Gremien, Konferenzen und Papieren nicht innerhalb von wenigen Jahren ändern, egal wie viel wir spotten, ranten, schimpfen und lustige Mashups aus Politiker-Äußerungen bauen.”

Daniel Bröckerhoff, Freier Journalist, TV-Reporter, Autor und Regisseur für TV und Online, in ZDF Hyperland Blog – Netzpolitik: Reißt Euch endlich zusammen!

“… Manchmal wundert man sich schon über Texte, Pressemitteilungen und Gastkommentare von Kollegen/-Innen, sei es aus der eigenen Partei, sei es aus den anderen. Und auch gestern wieder hat es ein Kollege geschafft die Aufmerksamkeit der Netzgemeinde auf sich und das Handelsblatt zu lenken. … Mein Vorschlag ist, wir sollten die reale nicht gegen die digitale Welt ausspielen, sondern vernünftig miteinander reden. Dies gilt allerdings für beide Seiten. Denn häufig reagiert die Netzgemeinde mit übertriebenen Hohn und Spott auf Ansichten, die sie in dieser Form nicht teilt. Diese Reaktionen tragen aber nicht gerade dazu bei, dass internetkritische Politiker ihr Herz für die Netzpolitik entdecken. …”

Dagmar Wöhrl (CSU), MdB und Vorsitzende des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Bundestages, in It’s the internet, stupid! Web 2.0 ist nicht Geschichte, sondern der Anfang

“… Schlimm ist allerdings auch: Heveling ist angeblich Experte für Urheberrecht und sitzt in der Internet-Enquete-Kommission des deutschen Bundestages. Andere CDU-Mitglieder wie Hannes Griepentrog, Henrik Bröckelmann oder Sven Przepiorka versuchen deshalb schon öffentlich, die Scherben zu beseitigen. Und was ist mit uns? Wie wäre es, Heveling einfach mit Argumenten zu kommen? Das wäre die beste Antwort. Denn Argumente – die scheint er selbst ja nicht zu haben, wenn er zu solch wirrer Polemik greifen muss.”

Dennis Horn, Moderator und Redakteur im WDR und im Hessischen Rundfunk, in 1Live Nerd Blog – Hevelwirkung

Persönliches Fazit

Mal unabhängig von der Auswahl der Stimmen sowie der Reaktionen von Kappes und Lumma hatte ich während der Recherche den Eindruck, viele Beiträge gelesen zu haben, die statt auf Konfrontation und Polemisierung vielmehr argumentativ versuchen, der Meinung von Heveling zu begegnen. Das bedeutet meines Erachtens, dass wir nach wie vor eine Chance haben, in der Sache, nämlich der Verringerung des digitalen Grabens in unserer Gesellschaft und allen Problemen, die damit einhergehen, zu verringern. Dies ist ein schwieriges Unterfangen, was auch die Antworten von Kappes und Lumma zeigen. Beide bemühen sich seit längerem, Nähe und Austausch zwischen der digitalen Wirtschaft und der Politik zu fördern.

Mag sein, dass Einige nun denken mögen, ich sei eine gute Spur zu optimistisch oder gar ein Phantast. Aber ich rate zum Innehalten. Danach wird jeder feststellen, ja in unterschiedlichem Maße geht uns die Diskussion alle an. Jetzt werden Einige denke: “Boah, abgedroschene Phrasen wie diese… .” Ehrlich gesagt ist mir das ziemlich egal. Die Diskussion geht uns nämlich tatsächlich alle an. Privatpersonen wie Unternehmer oder Politiker. Und wie bei jeder guten Diskussion sollte auch klar sein, worüber wir sprechen und was wir wollen.

Es ist an uns, Wege zu finden, wie wir in allen Bereichen der Gesellschaft der immer stärker werdenden Digitalisierung gerecht werden. Dabei geht es nicht um die Frage, wie wir sie begrenzen oder ihr gar Einhalt gebieten können, sondern vielmehr darum, wie wir sie gestalten und damit Mitspracherecht bei ihren Ausprägungen erlangen.

Ein Kernelement bei diesem Prozess scheint mir der Bereich Bildung zu sein. Die Digitalisierung und mit ihr Ausprägungen wie etwa neue Formen der Kommunikation, ein Internet, in welchem immer mehr Informationen gemeinsam geteilt werden, Innovationen und Technologien und zugleich Gesetze, die an diese neue Umgebung angepasst werden müssen usw., all das gilt es zu verstehen. Zumindest die Grundzüge. Sprache ist dabei sehr wichtig, denn Worte können viel bewegen, positiv wie auch negativ.

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