“Ich wundere mich immer wieder, was in den letzten Jahren durch unsere Social Media Aktivitäten so passiert ist”

by Johannes on 18. Oktober 2011

“Du sollst keine anderen Säfte haben neben mir!” steht in der Biographie des Twitter-Accounts von @SaftTante. Im realen Leben heißt diese Kirstin Walther und ist Besitzerin der gleichnamigen Saft-Kelterei bei Dresden. Sie bloggt, plusst auf Google und twittert über ihre Arbeit im “Saftladen”. Seit 2006 bloggt Kirstin schon für ihre Kelterei, welche sie von ihren Eltern übernommen hat. Wir trafen uns dieses Jahr zum ersten Mal persönlich auf der re:publica. Und für meinen Teil kann ich nur sagen, dass es genauso entspannt und angenehm war wie zuvor auf Twitter. Aber inzwischen ist ein wenig Zeit vergangen und es wird Zeit, Kirstin mal wie verabredet zum Gespräch unterm virtuellen Apfelbaum zu bitten…

Johannes: Daach! Jetzt bin ich ja im Sächsischen nicht so bewandert, auch wenn ich in Leipzig einen Teil meines Studiums verbracht habe und so habe ich mal kurz nachgeschlagen… Wie geht es Dir?

Kirstin: nu hällooo… gibt nüscht zu klagen. ;) und bei dir?

Johannes: Eine im Abklingen befindliche Erkältung. Hab ich mir direkt nach dem Urlaub eingefangen… Aber zurück zu Dir: Bei Euch habe ich zum ersten Mal die 5 Liter Saftbox gesehen. Kirstin, mal im Ernst, warum sollte ich mir eine solche Menge zuhause hinstellen, wenn doch auf den Produkten der Konkurrenz immer wieder zu lesen ist: “Verbrauchen Sie den Saft innerhalb von 2-3 Tagen”?

Kirstin: Das ist vermutlich das erste Interview, in dem ich gleich als erstes die Vorteile unserer Saftverpackung beschreiben soll. *lach* Nun gut – also es ist so: Das Besondere an der Saftbox ist, daß auch nach Anbruch der Verpackung keine Luft an die Produkte gelangt. Das liegt an dem Ventil, welches im Zapfhahn ist. Dadurch wird eine besondere Haltbarkeit erreicht, die bis zu drei Monaten eine gleichbleibende Qualität bei Frische, Geschmack und Inhaltstoffen wie am ersten Tag ermöglicht. Ja und da kann man dann halt auch gleich mehr reinfüllen. (Hat man das jetzt gemerkt, dass ein Teil dieses Textes von unserer Webseite kopiert ist – im Sinne von “Verkäufersprech”? ;)

Johannes: Vor mir liegt eine Ausgabe der Internetworld von Ende Juli, in welcher Dir, Deiner Kelterei und Eurer Social Media Strategie eine ganze Seite gewidmet wurde. Nicht schlecht oder?

Kirstin: Ja verrückt, oder? Ich wundere mich immer wieder, was in den letzten Jahren vor allem eben durch unsere Social Media Aktivitäten so passiert ist. Unglaublich, in welchen Zeitschriften wir schon erwähnt wurden und dass ich inzwischen sogar auf Kongresse eingeladen werde, um von unseren Erfahrungen zu erzählen. Ich kanns manchmal gar nicht glauben, was hier passiert.

Johannes: Wie bist Du eigentlich zum Social Web gekommen und vor allem auf die Idee, es für das Marketing Deiner Kelterei einzusetzen?

Kirstin: Die Idee dazu hatte eigentlich Martin Roell, der im Frühjahr 2004 schon meinte, wir sollten das unbedingt ausprobieren. Aber damals verstand ich das alles noch nicht so richtig – erst als er im Sommer 2005 darauf hinwies, dass Frosta begonnen hatte zu bloggen und mir das anschaute, fand ichs richtig spannend. Und dann gings ja auch bald los im Januar 2006 mit dem Saftblog. An Marketing hab ich am Anfang eigentlich nicht gedacht. Es war immer erstmal Ausprobieren und dabei hab ich dann gelernt, dass es auch Einfluß auf die Verkaufszahlen hat. Dann machte es natürlich noch mehr Spaß.

Johannes: Auf Eurer Webseite hast Du mich ja eben per Video gemeinsam mit Deinem großen Hund begrüßt. Weißt Du was mir daran gefällt? Es ist persönlich und wirkt natürlich. Wie bist Du auf die Idee gekommen die Besucher (Kunden, Interessierte) auf diese Weise zu empfangen?

Kirstin: Naja Idee würde ich das nicht nennen… Internet hat ja für viele immer noch etwas Anonymes, Ungreifbares. Und deswegen war es schon immer mein Traum gewesen, den Besuch unserer Webseite möglichst so zu gestalten, dass es sich ein bisschen so anfühlt als ob die Leute hier zu uns auf den Hof in den Saftladen kommen. Eben sehr persönlich – nicht irgendeine Webseite auf der man nicht sieht, mit wem man es eigentlich zu tun hat.. Mit Videos haben wir in der Vergangenheit schon immer gute Erfahrungen gemacht und viel daraus gelernt. Zum Beispiel, dass es nicht auf die Qualität des Filmes oder fließendes Sprechen ankommt, sondern auf das was man zeigt, dass man SICH zeigt, wie man eben ist. Ja und mit der neuen Webseite war klar, dass wir so was mit einbauen – vor allem auch für die Besucher, die uns nicht aus den verschiedenen Social-Media-Kanälen kennen. Und es kommt so super an, dass ich gern noch viel mehr machen würde. Leute, die uns anrufen sind total perplex, wenn ich “ähmm ja” sage auf die Frage, ob ich bin, die da gerade auf der Webseite zu sehen war.

Johannes: Wenn ich das richtig sehe, dann werdet Ihr ja immer wieder als “Best Practice” genannt, was das Social Media Marketing anbetrifft. Die Aufteilung Eurer Webseite in die Bereiche Willkommen, Saftladen, Saftplausch und Kelterei Walther finde ich gelungen, weil einfach mal anders und klar. Was sind die Merkmale, mit welchen Ihr Euch vom Wettbewerb absetzen könnt?

Kirstin: Was Social Media Sachen angeht, sind wir glaube ich noch relativ alleine in unserer Branche unterwegs mit einigen Ausnahmen, wobei sich das vielleicht ändern könnte, weil ich neulich auf einem Verbandstag der Deutschen Fruchtsaftindustrie über unsere Online-Erfahrungen sprechen durfte. Ja und ansonsten haben wir halt eine Verpackung, die praktisch aber nicht sehr etabliert ist, wir machen uns noch die Arbeit einheimisches Obst selbst zu pressen, was natürlich anders bzw. besser oder sagen wir ursprünglicher schmeckt, als Konzentratsäfte, die weiter verbreitet sind. UND wir haben die besten Fans und Kunden, die man sich wünschen kann. Allerdings ist es schon so, dass wir mit bestimmten Produkten nicht mehr so alleine sind, wie vor einigen Jahren und dort Wettbewerb stattfindet. Diese Leute nutzen ganz klassische Wege für Werbung und Marketing. Wege, die mir persönlich gar nicht liegen, weil ich im eigentlichen Sinn ein ganz schlechter Verkäufer bin. Aber diese Wege funktionieren natürlich auch. Und ehrlich gesagt, bin ich noch nicht zu einem Ergebnis für mich gekommen, wie ich damit umgehen könnte. Momentan beschäftigt es mich sehr, ob man nicht Wege finden könnte, unsere Fans und Kunden mehr in den Verkauf einzubinden – weil ich mir sicher bin, dass sie das viel besser könnten als ich. Was ich mir auf jeden Fall vorgenommen habe, ist dem Beispiel von Zappos und ähnlichen Unternehmenskulturen zu folgen und noch kundenorientierter zu werden. Es gibt da schon jetzt einige Parallelen: Ich halte es zum Beispiel für völlig normal, Adressen anderer Hersteller/Händler rauszugeben, wenn wir ein bestimmtes Produkt oder Verpackung nicht anbieten können oder manchmal stundenlang mit Kunden zu telefonieren über Themen, die gar nichts mit Saft zu tun haben, sondern sehr oft persönlicher Natur sind. Das ist zwar auch eine Sache, wo man schon ein bisschen Glauben haben muß, dass das der richtige Weg ist – aber ich denke es kann nicht verkehrt sein, wenn zunächst der Mensch im Vordergrund steht und dann erst der Verkauf. Das fühlt sich für mich richtig an, aber es ist kein leichter Weg und es erfordert viel Mut, andere Wege einzuschlagen, auf denen man ein bisschen alleine ist und belächelt wird. Mir wurde mehr als einmal nahe gelegt, dass ich nicht als Unternehmerin geeignet sei, weil bei mir der Profit nicht an erster Stelle steht und es gibt immer wieder Momente, in denen ich Angst habe, dass das stimmen könnte. Aber am Beispiel von Tony Hsieh kann man ja sehen, dass es funktionieren kann, gegen den Strom zu schwimmen, indem man seinem Herzen folgt und sich treu bleibt und das hat mir sehr viel Sicherheit gegeben. Es reizt mich sehr, uns bzw. unsere Marke über hervorragenden und außergewöhnlichen  Kundenservice zu definieren, weil ich auch glaube, dass man dadurch erreichen kann, dass die Kunden die Entwicklung der Firma durch Weiterempfehlung absichern können und irgendwann das Marketing für uns übernehmen. Aber da ist noch jede Menge zu tun.

Johannes: Neben der Strategie muss ja auch jemand die Kanäle und damit die Kommunikation operativ betreuen. Machst Du das im Alleingang oder teilt Ihr Euch das auf?

Kirstin: Ja, das mach ich ganz alleine, weil ich ein Kontrollfreak bin ;) Nee also das hat sich einfach so ergeben. Am Anfang war eigentlich schon geplant, dass mehrere Leute das machen, aber man kann niemanden dazu zwingen. Andererseits kommuniziert ja jeder, immer und überall. Die Mädels am Telefon, die Jungs aus der Produktion, wenn ihnen hier bei uns ein Kunde in die Arme läuft usw. Und ich bin nun mal gern in Kontakt mit Gott und der Welt und deswegen bleibt es zumindest online erst mal an mir hängen. Was gut ist, denn im Grunde ist es die schönste Zeit des Tages für mich. Aber andererseits, wie in der nächsten Antwort geschrieben: Unsere Kunden und Fans kommunizieren auch für uns und das ist überhaupt das Schönste.

Johannes: Im Beitrag der Internetworld ist zu lesen, dass Dir das Beziehungsmanagement wichtiger sei als die Umsatzsteigerung, denn Letztere käme nur über den Faktor Vertrauen zustande. Wie viel Prozent Empfehlung steckt eigentlich in Eurem Umsatz ;) denn Du genießt bei mir ja einen Vertrauensvorschuss, wenn Du bzw. Deine Produkte mir von Freunden empfohlen wurden.

Kirstin: Puuh… Das könnte ich noch nicht mal schätzen, geschweige denn eine Zahl nennen. Ich glaub, dass die Empfehlungen aber dasjenige sind, was bei uns am stärksten zu Wachstum führt. Und dabei hatten wir damit gar nicht so sehr gerechnet, eher wundere ich mich immer wieder darüber, wie oft und wie gerne wir weiterempfohlen werden, obwohl wir ja irgendwie einfach nur da sind und wenige (herkömmliche) verkaufsfördernde Inhalte liefern. Für den Kommunikationskongreß in Berlin neulich hatte ich spaßeshalber mal ne Art Gegenüberstellung gemacht, am Beispiel von Twitter. Ich zeigte einige meiner Tweets und stellte die von anderen Twitternutzern gegenüber, die mich als safttante erwähnten. Und das Ergebnis war, dass ich eigentlich fast nur “Banalitäten” von mir gebe, aber die anderen ständig über uns, unseren Saft usw. schreiben. Vielleicht ist das ja das große Geheimnis. Ein Dresdner Twitterer sagte mir mal, dass er unsere Säfte kauft, weil er mich “kennt” und er an mich denken muß, wenn er in einen Laden kommt, wo unsere Saftboxen stehen. Darüber hab ich lange nachgedacht. Aber wahrscheinlich ist es letztendlich wirklich so, dass man jemanden natürlich nur kennenlernen kann, wenn er sich von allen Seiten zeigt und nicht den ganzen Tag Werbung für seine Produkte macht. Jedenfalls war ich sehr froh darüber, weil es einfach nicht meine Art wäre, den ganzen Tag irgendwelche Werbebotschaften zu verteilen usw.

Johannes: Kirstin, Hand auf die Tastatur: Was bringt Euch Social Media in reinen Zahlen (Besucher, Kunden, Umsatz, Listungen bei Supermärkten)?

Kirstin: Da sind die Hände! ;) Na gut, weil Du´s bist: 500.000 Besucher – 100.000 Kunden – 1 Mio. Umsatz – Supermärkte sind nicht unsere Zielgruppe. Quatsch mit Soße! Wie gesagt – das ist schwer zu sagen und noch schwerer zu messen, weil alle Aktivitäten irgendwie ineinander greifen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir weniger Besucher auf unseren Seiten haben, als die meisten annehmen. Aber es sind eben – wie sagt man das? – hochwertige, wirklich interessierte Besucher? Hochwertig klingt blöd irgendwie – aber Du weißt schon, wie ich das meine. Beispiel Facebook: Ich halte eben nichts davon, mich mit hohen Fanzahlen oder ähnlichem zu schmücken, weil die nichts aussagen. Alle Fans die wir haben, sind von selbst gekommen, weil sie sich scheinbar für uns interessieren. Gewinnspiele oder ähnliches, was beliebte Praktiken sind, um Fans zu sammeln, haben wir nie gemacht. Sein ist schöner als Schein, finde ich. Es gibt nur ein konkret messbares Beispiel: Weil wir mal wegen eines Blogposts abgemahnt wurden und ganz, ganz viel Unterstützung von Bloggern bekamen, fing ich an Barcamps zu sponsern und zu besuchen und deswegen erinnerte sich einige Jahre später jemand an mich, der bei einem großen Versandhändler arbeitet, der auf der Suche nach Saft in Einwegverpackungen war. Dieser Händler ist nun unser bester Kunde und gerade hab ich wieder 2 Paletten Saft an ihn rausgeschickt, so wie jede Woche. (Für Social-Media-Elite-Club-Menschen und Social-Media-Rockstars könnte das heißen: 1 Blogpost = fast 6stellige zusätzliche Umsätze im Jahr. *kicher* Sorry – der musste jetzt sein.) Auch das sehe ich genauso wie Tony von Zappos und möchte ihn zitieren: “If you are able to figure out how to be truly interested in someone you meet, with the goal of building up a friendship instead of trying to get something out of that person, the funny thing is that almost always, something happens later down the line that ends up benefiting either your business or yourself personally.” … “So my advice is to stop trying to “network” in the traditional business sense, and instead just try to build up the number and depth of your friendships, where the friendship itself is its own reward.” Also dieses Buch (“delivering happiness“) ist nicht meine Bibel oder so, ich hab es nur vor kurzem gelesen und war begeistert. Und diese Stelle war so eine, die mir suggerierte: Mach weiter so – passt schon.

Johannes: Abschließend habe ich eine Bitte an Dich: Kannst Du Dein Verständnis vom Social Web in 140 Zeichen darlegen?

Kirstin: Oahr – so Sachen find ich ja.. naja. ;) Sagen wir mal: “Es geht um Menschen!”

Johannes: Hab vielen Dank für das anregende und ausführliche Gespräch! Solltest Du demnächst in Düsseldorf sein, sag bitte Bescheid. Denn auf Dich wartet ein frischer und wohltuender Espresso Macchiato ;)

Kirstin: Da nehm ich Dich beim Wort, lieber Johannes. Ich werde Ende Januar in Düsseldorf sein – wieder mal ein Vortrag – und dann würde ich gern auf den Espresso zurückkommen. Lieben Dank für das schöne Gespräch.

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