“In Zeiten des Medienwandels muss man als Journalist dorthin gehen, wo die Leser sind.”

by Johannes on 14. Februar 2011

Auf Twitter nennt er sich wie er heißt: Holger Schmidt. Auf Facebook firmiert er auch unter Netzökonom, ganz wie das gleichlautende Blog der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, kurz F.A.Z. Holger ist eines der bekanntesten Gesichter im deutschen Social Web. Warum ist recht schnell erklärt: Durch seine inhaltlich stets neuesten und bestens aufbereiteten Postings und Tweets hat sich der Wirtschaftsredakteur der F.A.Z. innerhalb kürzester Zeit einen hervorragenden Ruf aufgebaut. Seine Analysen und Präsentationen zur Trends im Internet, beispielsweise zum Einsatz von Social Media in Unternehmen, sind treffend und schnörkellos. Und nachdem ich Holger gefragt habe, ob er Lust und Zeit für ein Interview hätte und er einwilligte, machte ich mich auf und stellte ihm ein paar Fragen…

Johannes: Hallo Holger, das Jahr 2011 ist noch jung. Was wünschst Du Dir beruflich, bzw. wenn Du es uns verraten magst, privat?

Holger: 2011 wird für mich sehr spannend, da ich einige Ideen im Kopf habe. Dabei weiterhin viel Zeit mit meiner Familie zu verbringen ist mein größter privater Wunsch.

Johannes: Jetzt mal völlig schnörkellos: Wie kommt man als Redakteur der F.A.Z zum Bloggen? Klar weiß ich, dass das bei Euch schon eine geraume Zeit lang passiert und Netzökonom nicht das einzige Blog ist. Aber trotzdem: Seit wann machst Du das und was warum? Immerhin hast Du ja noch andere Bereiche zu betreuen wie etwa Telekommunikation und Videospiele und bist überdies Internet-Koordinator der bekannten Tageszeitung…

Holger: Angefangen habe ich 2007 als erster FAZ-Blogger. Ehrlich gesagt war mir damals nicht ganz klar, in welche Richtung sich das Blog entwickelt. Inzwischen betrachte ich den „Netzökonom“ als ideales Instrument, meine Leser im Netz mit hoffentlich spannenden Informationen zu versorgen. Information ist mir dabei wichtiger als Meinung. Die schimmert zwar meist durch, steht aber selten im Vordergrund.

Johannes: Bietet Dir die F.A.Z. im Rücken einen zusätzlichen Türöffner, wenn ich das so formulieren darf, um im Silicon Valley oder San Francisco Zugang zu exklusiven Gesprächspartner führender Internetunternehmen zu finden? Oder musst Du wie ich und alle anderen anklopfen?

Holger: Ich bin ja nicht als Blogger unterwegs, sondern als FAZ-Redakteur. Und da hilft die Marke FAZ natürlich enorm. Dass ich meinen Job schon ein paar Jahre mache, schadet auch nicht.

Johannes: Was bringt Dir Dein journalistisches Gespür und Verständnis für das Bloggen und Twittern? Oder hat das Eine mit dem anderen rein gar nichts zu tun?

Holger: Ich betrachte das Blog und – immer stärker – Twitter als journalistische Instrumente, mit denen ich neue Leser zur Marke FAZ holen kann. In Zeiten des Medienwandels muss man als Journalist dorthin gehen, wo die Leser sind. Und das sind nun mal immer häufiger Facebook, Twitter oder andere Dienste im Social Web.

Johannes: Neben Deinen beruflichen Aktivitäten im Social Web, bleibt da auch noch Platz für privates Bloggen oder hast Du wie etwa Dein Kollege Martin Weigert neulich im Interview bestätigte, Dein Hobby zum Beruf gemacht?

Holger: Privat blogge ich nicht. Ich gebe im Social Web auch – ehrlich gesagt – nicht so viele persönliche Dinge preis.  Privat ist bei mir noch weitgehend privat.

Johannes: Ein Thema, dem Du Dich mit dem Netzökonom widmest, ist die Werbung. Mich würde Deine Einschätzung – gerne ausführlich – interessieren, inwiefern der Social Commerce sowie das Mobile Web sich in Deutschland entwickeln, wenn sich der Hype um Apps und Co. gelegt hat.

Holger: Native Apps, die für jede Plattform eigens angepasst werden müssen, halte ich in der fragmentierten mobilen Welt auch für ein Übergangsphänomen. Das mobile Web ist sicher ein großes Thema. In wenigen Jahren wird die Mehrheit der Menschen in Deutschland ein Smartphone in der Tasche haben. Dann könnte lokale Werbung, ausgerichtet am jeweiligen Aufenthaltsort der Menschen, ein großes Thema werden. Dass Social Commerce so schnell so wichtig wird, sehe ich im Moment noch nicht.

Johannes: Kannst Du unseren Lesern vielleicht kurz etwas zur Reichweite des Netzökonoms über alle Kanäle, die Du bedienst, sagen? Wird es in 2011 Neuerungen bei Dir geben? Wenn ja welche?

Holger: Die Blog-Beiträge haben etwa 10000 Leser im Durchschnitt. Im Social Web nutze ich bevorzugt Twitter, da es ein nahezu perfektes Tool zur Infobeschaffung und –verbreitung ist. Mein Hauptaccount @Holger Schmidt hat gut 10000 Follower; meine Infos verbreite ich zudem auf meinen beiden öffentlichen Facebook-Seiten, auf Friendfeed und Linkedin. Der Anteil des Social Web nimmt zu; viele Leser kommen aber weiterhin von FAZ.NET und Google.

Johannes: Inwiefern stellt das Social Web für Dich Bisheriges in Frage? Gab es diese Form von Austausch nicht schon immer? Damals, auf dem Land, als man sich im Dorfladen traf und Neuigkeiten austauschte?

Holger: Klar gab es Austausch schon immer, aber im Netz spielt die physische Distanz eben keine Rolle mehr, was die Zahl der möglichen Interaktionen unbegrenzt erhöht. Ich profitiere als Journalist enorm davon. Auf Twitter kann man sehr schön sehen, wie aus Gerüchten Geschichten werden oder Breaking News direkt erfahren – egal, ob sie im Silicon Valley stattfinden oder in Frankfurt. Die Informationen verbreiten sich extrem schnell; aus den Retweet-Entscheidungen aller Nutzer enwickelt sich eine kollektive Intelligenz, die heute schon hilfreich ist, aber noch viel besser genutzt werden kann. Zudem ist man als Journalist im Social Web viel näher am Leser dran. Es gibt also viele neue Aspekte, die Bisheriges in Frage stellen. Dazu gehören natürlich auch neue Konkurrenz um die Zeit und Gunst der Leser, der sich Journalisten stellen müssen.

Johannes: Du bist einer der profiliertesten Beobachter der Trends wie Social Commerce, Digital Advertising oder Mobile Web. Was fasziniert Dich daran so sehr daran und inwiefern lebst Du diese Trends selbst mit? Du bloggst und twitterst ja schon länger, aber kaufst Du bei Groupon oder checkst bei Foursquare ein usw.?

Holger: Ich schreibe seit fast 14 Jahren über das Internet, aber nie war mein Job so spannend wie heute. Vor allen die Kombination aus technischem Fortschritt  und dem Aufkommen der Plattformmodelle im Social Web macht den Reiz aus. Die neuen Dienste probiere ich natürlich alle zumindest einmal aus, nutze aber nur einige regelmäßig.

Johannes: Zu guter Letzt mit der Bitte um eine Antwort in 140 Zeichen a la Twitter: Wenn Dich jemand fragt, was das Social Web ist, was antwortest Du ihm?

Holger: Das ist jetzt die Frage, über die ich am längsten nachdenken musste, denn kurze Sätze sind immer viel schwieriger als lange. Also: Im Social Web erfährt man immer, was Freunde und andere interessante Menschen gerade beschäftigt. #Infofilter

Johannes: Vielen Dank Holger, dass Du Dir die Zeit für das Interview genommen hast. Es würde mich sehr freuen, Dich demnächst einmal in Düsseldorf zu treffen. Und dann gehen wir einen Espresso trinken.

Holger: Gerne. Am 29./30 März bin in Düsseldorf – auf einem Kongress zu Social Media.

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  1. [...] Während ich diesen kurzen Post schreibe, sitzen mir mit Holger Schmidt (Netzökonom der F.A.Z.) und Patrick Breitenbach (Ex-Werbeblogger) zwei angenehme Zeitgenossen [...]

  2. [...] Ihr Engagement referenzieren. Egal, ob Techies, Kommunikationsexperten, Social Media Enthusiasten, Journalisten, alle haben durch Ihr Bloggen für sich Vorteile daraus gezogen und teilen ihre Sichtweisen mit [...]

  3. [...] Holger Schmidt vom Focus diese Woche schrieb, wächst Pinterest in Deutschland langsamer. Im Heimatmarkt USA hatte [...]

  4. [...] beweisen dabei sehr viel Leidenschaft, Ideenreichtum und Offenheit. Exemplarisch dafür sind etwa Holger Schmidt und Olaf [...]

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